Image Grün-gelb-rote Dreadlock-Mützen -Eine kritisch-sarkastische Analyse des deutschen Reggae-Hypes-
Ein ganz normaler Tag im Leben eines durchschnittlichen deutschen Reggaeliebhabers (im folgenden als DDR bezeichnet) beginnt in der Regel mit dem Aufstehen. „Was soll daran besonders sein?“ schießt es den ersten ungeduldigen Gemüter nun mit Sicherheit schon durch den Kopf. Also hört gut zu und lernt zu verstehen, durch welche fundamentalen Kleinigkeiten sich der Alltag eines DDR von dem der übrigen Masse unterscheidet:

Das Aufstehen bedeutet für ihn nicht nur die physische Aufrichtung seines von der kurzen Nacht erschlafften Körpers, sondern hat auch eine symbolische, ja fast schon spirituelle Bedeutung, die das wohl bekannteste Vorbild eines jeden DDR, Bob Marley, mit den Worten „Get up, stand up! Stand up for your rights!“ auszudrücken versuchte.
Der bewusst lebende DDR sieht diesen ersten Akt des Tages als eine Art Emanzipation gegenüber den fesselnden Regeln seines Schlafsystems und feiert seinen Befreiungsschlag mit einem beherzten Zug an dem noch vom Vorabend übrig gebliebenen Pfeifenkopf. Danach schlurft er, gekleidet in einem weiten und kratzigen Jutesack, den er als Hemd bezeichnet, sowie einer schwarz-violetten Leinenhose und Birkenstocksandalen die Treppe runter und setzt sich an den Frühstückstisch. Sollte er zu der Gruppe der Hardcore-DDRs gehören, setzt er spätestens jetzt seine ausschließlich in Grün-Gelb-Rot gefärbte, viel zu weite Mütze auf, die im Optimalfall noch mit Dreadlock-Imitaten bestückt ist. Dieses sehr geschmackvolle Kleidungsstück behält er von diesem Zeitpunkt an zumindest bis zum späten Abend auf dem Kopf.. Der DDR ist weiß, trägt schulterlange, etwas strähnige Dreadlocks, ist etwa 22 Jahre alt und lebt noch zu Hause oder in einer ihn verwöhnenden WG. Diese Umstände sind natürlich nur auf seine Wertschätzung von Familie und Gemeinsamkeit zurückzuführen, weniger auf die ihm eigene Motivationslosigkeit und Lethargie. Trotzdem nerven ihn die ständigen Fragen seiner Mutter, wer denn nun dieser seltsame ältere Herr wäre, dessen Sticker er auf einer Vielzahl seiner Klamotten trägt. „Dieser Haile irgendwas, oder wie der heisst...“ Wie auch immer gerät der DDR beim Frühstück in seinen ersten inneren Moralkonflikt: Soll er nun lieber die lecker-saftigen Putenscheiben auf sein Brötchen legen, damit aber am Tod eines von Jah geschaffenen Lebewesens mitschuldig sein, oder soll er lieber auf den schon etwas angetrockneten Käse zurückgreifen und dadurch sein Gewissen beruhigen? Nach einigem Nachdenken entscheidet er sich für die Putenstreifen, befriedigt seine Schuldgefühle mit der Annahme, dass sie ja mit Sicherheit zumindest von glücklichen Puten stammten und dass es halt der Lauf der Natur sei, wenn das stärkere Glied der Kette das Schwächere fressen würde. Nach dieser morgendlichen Stärkung schwingt sich der DDR auf sein Fahrrad und bewegt sich Richtung Uni, wo er Pädagogik oder Naturheilkunde studiert. Ausgenommen von diesem Ablauf sind diejenigen DDR, die sich für eine Karriere als Zimmermann entschieden haben. Diese fahren mit ihrem Fahrrad natürlich zum Meisterbetrieb und nicht zur Universität. In anderen Berufszweigen kommen DDR eigentlich nicht vor und wer dass von sich behauptet ist kein DDR sondern nur ein DR. Pech gehabt aber selbst schuld! Image
Ob nun DR oder DDR, beide verbindet eine anklagende Beurteilung ihres Umfelds und des sie umgebenden gesellschaftlichen Systems. Ein DDR hat deutlich mehr Kritikpunkte zu nennen als eine systemar handelnde, eher eingebundene Person (im folgenden als SHEEP bezeichnet), die von Konsum, Medien und der sie umgebenden Gesellschaft deutlich mehr geprägt und eingenebelt ist als ein DDR und deswegen eine Vielzahl von Problemen und Gefahren nicht erkennen oder einschätzen kann. Der DDR hingegen, in seiner Freizeit zwar auch oft – wenn auch auf andere Art und Weise- eingenebelt, strebt förmlich danach, Fakten oder Zustände aufzudecken, die sein Weltbild unterstreichen und die gegen das verhasste Babylon, also im großen und ganzen die westliche Welt und ihre in alle Winkel dieser Erde verbreiteten Mängel, verwendet werden können. Leider beschränken sich viele DDR auf die Zustände und Probleme in den Ungläubigen Staaten von Amerika, die als Sinnbild für das neue Babylon stehen anstatt sich auch mit hiesigen oder weltweiten Problemen zu befassen. Insgesamt ist ein DDR oft ziemlich undifferenziert und argumentiert subjektiv. Zudem kommt eine gewisse Differenz zwischen dem was er erreichen will, und dem was er selbst bereit ist, dafür zu opfern. Ein gerechteres und schöneres internationales Zusammenleben zu fordern ist die eine Sache, wenn’s dann aber darum geht, das fürs Ganja eingeplante Geld doch an eine Schule in Lesotho zu spenden, sieht das mit dem Weltverbesserungs-Enthusiasmus schon wieder ganz anders aus. Auch sein Verhalten spiegelt nicht immer seine eigentliche Auffassung wieder: er hasst Großkonzerne geht aber dennoch ab und zu bei McDonalds essen, wählt die Grünen obwohl er oft eine Abneigung Homosexuellen gegenüber hat, verurteilt die Besoffenen beim Oktoberfest und liegt dabei selbst die halben Herbstferien mit knatschroten Augen auf der Couch vorm Fernseher, hält nicht viel von Technik und Fortschritt aber möchte doch sein Handy und seinen Computer nicht missen und redet ständig von dem fehlenden inneren Frieden seiner Mitmenschen, wobei er selbst glaubt, seine Erfüllung in einer Person gefunden zu haben, die zu einer der größten Hungersnöte der Geschichte nicht das eigene Volk versorgt, sondern seine Löwen gefüttert und bei Volkswagen einen komplett in Elfenbein ausgestatteten Käfer bestellt hat. Trotz all dieser den DDR charakterisierenden, eher negativen Eigenschaften,ist er durchweg ein sympathischer Mensch; er verzichtet eigentlich immer auf Gewalt, macht sich –wenn auch wie eben angesprochen leider oft zu subjektiv- Gedanken über die globalen Probleme und ist zumeist ein guter Zuhörer und Philosoph. Apropos Philosoph, wir waren ja bei der Uni stehen geblieben. In der Mensa greift der DDR zu dem vegetarischen Menu, da er die „schreckliche und grausame Massentierhaltung“ nicht unterstützen möchte und kaut stattdessen lieber auf seinem an eine Fußmatte erinnernden Tofu-Steak rum.
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Heimlich denkt er an die köstlichen Putenstreifen vom Morgen. Wenn der DDR am späten Nachmittag nach Hause kommt, muss er sich erstmal vom anstrengenden Alltag und all den SHEEP erholen, und zündet sich seine erste Sportzigarette, auch bekannt als Joint, Spliff, Stick oder Tüte, an und genießt den süßen Rauch, der aus seinen Mundwinkeln quillt. Alles ist gut bis die Mutter ins Zimmer stürmt, erst fassungslos auf das qualmende Ding starrt, dann in gewohnt hektischer Art und Weise mit den Armen rumfuchtelt und erklärt, dass sich „der Button von diesem Haile...sonstnochwas im Wasserabfuhrschlauch der Waschmaschine verfangen hat“ und dass deshalb jetzt die halbe Küche unter Wasser steht. „Auch die Dose mit den Keksen, von denen du nichts probieren solltest?“ schreit in diesem Moment der DDR und springt von seinem gemütlichen Sessel auf als hätte ihn eine Hornisse gestochen. „Nein die nicht“ antwortet die Mutter gelassen und fügt hinzu: „die habe ich eben deiner Tante zum Kaffeekränzchen mitgegeben, da du ihre ja neulich alle weggefuttert hast“ Nun bleiben für den DDR zwei Alternativen : ausrasten und sich über die nun verschenkte Investition ärgern, oder lachen und sich über den mit Sicherheit unkonventionellen Ausgang des Kaffeekränzchens freuen? Der DDR, gutmütig und humorvoll wie er ist, entscheidet sich für Letzteres und dreht sich einen weiteren Joint, um den Schock zu verarbeiten, während seine Mutter die Küche wieder auf Hochglanz bringt und diesen verdammten Haile... Dingsdabums verflucht. Um diesem Geschrei zu entgehen, legt der DDR eine seiner unzähligen Reggaeplatten auf und dreht den Lautstärkeregler aufs Maximum. Er verweilt noch einige Stunden in seinem Zimmer, tanzt zwischenzeitlich sogar einige Schritte, lässt ich dann doch wieder aufs Sofa fallen, macht sich 3 Brote mit Bananen und Nutella weil er dass „einfach mal ausprobieren wollte“, zwirbelt an seinen Dreadlocks rum während er Simpsons  schaut und schläft schliesslich gegen 01.00, den kratzigen Jutesack noch immer umgebunden, friedlich wie ein Baby irgendwo zwischen Couch und Teppichboden ein.  

Eigentlich gibt es ihn ja gar nicht, DEN DDR. Wie bei jeder Beschreibung einer bestimmten Gesellschaftsgruppe variieren natürlich die einzelnen Individuen in dieser betrachteten Gruppe. Des weiteren entspricht der DDR keiner mir bekannten Person sondern ist eine Zusammenfügung unterschiedlichster Menschen. Er ist mit Sicherheit nicht meine Idealvorstellung eines Reggaefans und schon gar nicht die eines echten Rastafaris und soll es auch nicht sein. Er spiegelt lediglich jene Beobachtungen wieder, die ich in den letzten Jahren im privaten Kreis, auf der Straße oder auf Festivals gemacht habe. Und überhaupt : „You don’t haffi dread to be Rasta“ und „It’s not the locks on your head, that make you a Rastaman, the true Rastaman can be seen by his words and his actions”     LS

- Bless