Mellow und Pyro Der Potsdamer Mark Schlumberger alias Mellow Mark in Brasilien - MELLOW & PYRO auf dem ersten Metro Music Festival in Sao Paulo
“Belleza!! Todo Bem?!” - “Schönheit!! Alles gut?!”
Diese herzliche Bergüßung erwartete uns fast überall, wo wir hinkamen auf unserer Reise zum ersten Metro Music Festival in Sao Paulo. Das Ganze war angekündigt unter dem Namen “Sounderground Festival” - eine Wortverbindung aus “Sound” und “Underground”. Circa 20 Strassenmusiker/bands aus aller Welt kamen für eine Woche zusammen,

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Mellow Mark & Pyro at myspace

Circa 20 Strassenmusiker/bands aus aller Welt kamen für eine Woche zusammen, um die U-Bahnhöfe der brasilianischen Weltmetropole, wo Musizieren sonst eigentlich verboten ist, zum Klingen zu bringen.
Mit dabei aus Deutschland: Wir, Mellow&Pyro, das dynamische Reggae-Duo aus Potsdam bzw Berlin.
Am 5.November, einem verkehrsreichen Freitagnachmittag schleppte ich mich mitsamt all meinem Musik-Equipment durch den Regen zum Potsdamer Hbf, um von dort mit einer deutlich verspäteten Regionalbahn zum Shuttlebus am Bahnhof Zoo weiterzufahren, der sich wiederum mit Verspätung und vollgestopft mit Menschen und deren Reisegepäck mühsam Meter um Meter durch die Berliner Rush Hour in Richtung Flughafen Tegel vorwärtskämpfte.

 Dort empfing mich mein seit einer Stunde wartender Bühnenpartner Pyro, um wiederum reichlich spät mit mir in den Flieger nach London einzuchecken, von wo wir zu unserem Resieziel Sao Paulo weiterfliegen wollten.

Weil aber eben dieser Flieger auch Verspätung hatte, wurde uns geraten lieber mit einer ganz anderen Flugverbindung über Frankfurt in die brasilianische Metropole zu gelangen. Gesagt getan.

Wir hatten ab diesem Moment keine Wartezeiten mehr, alles ging ganz nach unserem Motto “Ratz Fatz Peng”:

Kaum in Frankfurt angekommen, rannten wir zum Gate und erreichten den Flug knapp. Eingequetscht zwischen breitschultrigen Hünen aus Norwegen und Schweden verbrachte ich die Nacht Schulter an Schulter schlaflos in der letzten Sitzreihe des Fliegers. Sitze, die man bekanntlich nicht nach hinten klappen kann, um eine angenehmere Sitzposition einzunehmen.

 Zerknautscht und völlig übermüdet stellten wir in Sao Paulo fest, daß unser Gepäck nicht mit uns angekommen war und verbrachten geduldig nochmals einige Stunden im Flughafen bevor wir mit einem Kleinbus zum Hotel gefahren wurden, dem Comfort Hotel im Stadtteil Republica, ab jetzt sozusagen Headquarter des Festivals, wo uns die Crew von Ginga Brasilis in Empfang nahm.

Um nun schlafen zu gehen, waren wir allerdings schon zu weit über unseren müdesten Punkt hinaus, hatten außerdem Hunger und so zogen wir erstmal mit der Crew los.

Nach dem Lunch besorgten wir uns Materialien, um unsere Show vorzubereiten, unsere noch nie da gewesene Spezialshow, einmalig und exklusiv nur für das Sounderground Metro Music Festival.

Mellow& Pyro – wer uns kennt, der weiß, daß wir keine reine Instrumentalmusik machen, sondern Reggae, Dancehall, Hiphop und Akustik-Mukke mit vielen Gesangs- und Rap-Passagen. Uns war allerdings kurz vor Abreise mitgeteilt worden, daß wir den Anteil der Vocals auf 25% reduzieren müßten, so die Auflage für Vokalisten von seiten der strengen Metrogesellschaft.

Daraufhin hatten wir zuerst überlegt ( und heftig diskutiert), ob es für uns unter diesen Umständen überhaupt in Frage käme, teilzunehmen, dann aber einstimmig beschlossen, anstatt einer Musikshow eine Pantomime-Show zu performen. Wir kauften also viel Farbschminke, Masken und Perücken..

-Da gab es noch das Problem der Kommunikation. Wir beide konnten kein portugiesisch und uns wurde gesagt, daß relativ wenige Brasilianer Englisch verstünden.

Also bastelten wir bunte Pappschilder mit Textfetzen darauf, die wir uns von der Crew übersetzen liessen. Diese Pappen dienten uns nun sozusagen als “Untertitel” in unserer sowieso fast wortlosen Show.

Die Vorbereitungen und Proben dauerten fast zwei Tage, während dieser Zeit trafen alle anderen internationalen Festivalteilnehmerbands ein und wir machten uns bekannt. Am Sonntagabend, dem 7.11.2010 gab es eine Präsentation aller 25 Bands, dann wurde der Plan bekannt gegeben:

Wir alle (ca 40 Musiker) sollten 5 Tage lang in verschiedenen zentralen U-Bahnhöfen in Sao Paulo zwei Mal täglich jeweils zur Rush Hour jeweils zwei Stunden musizieren.

Am letzten Tag war ein Grand Finale angesetzt, bei dem alle Bands nach- und miteinander auftreten sollten. Es war eine bunte Vielfalt an Charakteren und Musikrichtungen, von traditioneller brasilianischer Folklore bis hin zu New Yorker Avantgarde, afrikanischem Tribal Dub, Pariser Tango, und One-Man-Bands im Stil von Jimi Hendrix oder Justin Timberlake. Auch ein Speed Jazz Duo im Gorilla- bzw Stinktierkostüm war dabei.

Die Chemie unter den Musikern war fantastisch und so wurde aus dem Meeting bald ein fröhlich blubbernder Menschenbrei..

Vom Sponsor( einem bekannten Energydrinkhersteller) bekamen wir zur batteriebetriebenen Verstärkung sogenannte “Blockrocker” zur Verfügung gestellt, die sich allerdings schnell als “Rock-Blocker” entpuppten – bis auf ihren Designerlook waren sie absoluter Müll, alles klang verzerrt und dennoch viel zu leise.. Die Musik sollte in den nächsten Tagen oft untergehen im Lärm der einfahrenden U-Bahnen oder den Lautsprecheransagen.

Trotzdem wollten wir nicht meckern, schließlich waren wir unter vielen Bewerbern ausgesucht worden, an diesem allerersten Metromusikfestival in Brasilien dabei zu sein.

 

8.11.2010

Der erste Festival-Tag lief bei uns recht chaotisch ab, die Show mußte noch feinabgestimmt werden. Unsere Performance in der Metro-Station “La Bras” ging von 11-13 Uhr und wurde öfters mal unterbrochen durch Fernseh- und Presseteams, die uns interviewen wollten, so daß wir nur zu zwei Durchläufen des neuen und für uns noch sehr ungewohnten Programms kamen. Die Bedingungen vor Ort waren zudem ungünstig, denn die “Bühne” lag in der Ecke einer Vorhalle im Schatten, Licht kam von hinten und die Massen hasteten etwas 30 Meter von uns entfernt in die U-Bahn-Schächte, nur wenige Neugierige nahmen sich die Zeit, die beiden rot und gelb geschminkten 'Vögel' näher zu betrachten und sich die Show anzusehen.

 

9.11.2010

Das Interesse der U-Bahnbenutzer an unserer Show sollte sich am zweiten Tag schlagartig ändern, denn das Festival hatte einen dreiminütigen Bericht in den Hauptnachrichten bekommen und machte nun Geschichte. Schon unser zweiter Auftritt wurde spektakulär beklatscht und gefeiert. Die 'Sao-Paulianer' begannen, sich für das Festival zu begeistern.

An diesem zweiten Festivaltag spielten wir nachmittags von 17-19 Uhr in der Station “Republica”, der Heimatstation, nahe beim Hotel. Dieses Mal grün&gelb, den Farben der Brasilianischen Nationalflagge geschminkt, rockten wir den U-Bahnhof mit unserer fast lautlosen Show – die gesamte Zuschauermenge war fasziniert, vom Büroangestellten bis hin zum aufgetakelten Transvestiten, der uns mit “Hola Gatos!” (“Hallo, ihr Kater!”) begrüßte und vergeblich versuchte, uns die Show zu stehlen.

Nach dem Abschminken mußten wir sofort los zu einer Clubshow im entfernten Stadtteil Pinheiros. Im Club “Casa 92”, der komplett im Stil eines 70er Jahre-Luxus-Privathauses mit Wohnzimmer, Küche, Kamin- Esszimmer, Patio, Obergeschoss und Dachterasse gehalten und mit vielen kleinen liebevollen Details ausgestattet war, rockten wir, dieses Mal ungeschminkt und mit lauten Beats sowie Dj und Gitarre, von etwa 1 bis 3 Uhr die Nachtkatzen, um dann am nächsten Morgen wieder um 9 Uhr geschminkt zum nächsten Metrokonzert zu fahren.

 

Kurzer Einschub – ESSEN/ STREETLIFE:

Das Frühstück war übrigens mein persönliches Highlight: Es gab immer frischen Orangen- und Guavensaft, außerdem Papaya-, Ananas- und Wassermelonenstücke am Buffet, das auch sonst reichhaltig war.

-Wer Beef mag, ist in Brasilien auf jeden Fall richtig aufgehoben. In Restaurants, den sogenannten Churrascerias gibt es einen Fleisch-Spieß-Rundlauf namens Rodicio(gesprochen wirds: “Hodschísio”), bei dem der Fleischesser soviel und sooft er will die ewig durchs Restaurant rotierenden Rodicio-Grillmeister zu sich rufen darf, damit diese ihm von ihrem aktuellen Grill-Spieß-Highlight eine feine Scheibe abschneiden.

Aber auch ein Vegetarier wie Pyro ist in diesen Restaurants auf seine Kosten gekommen, denn das Buffet hat für jeden was zu bieten. Neu für uns war zum Beispiel ein Gemüse namens “Palmito”, auf den ersten Blick wie in Pilz, dennoch eher so eine Mischung aus Bambus und Minipalmenstamm.

Einmal erlitten wir einen 'Käseschock', denn wir bissen nichtsahnend in ein Käsebällchen (sogenannte 'Queijitos'), die wir für einfaches Hefegebäck hielten. Immer wieder begegneten uns diese 'Käseschocker' und auch auf den Pizza- und Pastagerichten fanden wir immer mal wieder eine Überdosis Käse, dazu wurde noch Extra-Cheese bereitgestellt, für den Fall daß man die Dosis noch etwas erhöhen wollte.

Nach einem Ausflug ins “Chinatown” Sao Paulos am ersten Festivalnachmittag, dem Viertel “Liberdade” (gesprochen: “Liberdatschi”), hatten wir uns den Magen so voll mit vegetarischem Thaifood und Meeresfrüchten geschlagen, daß wir entgegen der besorgten Warnungen der (übrigens  aufopfernd hilfsbereiten) Bandbetreuer beschlossen, zu Fuß zurück ins heimische “Republica” zu wandern.

Mit einer groben Strassenkarte und anhand des Sonnenstandes navigierten wir durch die grauen Häuserberge und Strassenschluchten dieses Beton-Molochs, übrigens das größte Industriezentrum Südamerikas mit der größten Bevölkerungsdichte der südlichen Hemispäre.

Wir sahen natürlich viele Obdachlose und vielleicht auch in paar Kleinkriminelle(die sich bei unserem Anblick wahrscheinlich dachten: “diese zwei Gringos da sehen nicht so aus, als gäben sie eine fette Beute ab..”), kamen am Ende unseres langen Marschs aber gesund und ohne Zwischenfälle im Hotel an.

Was wir gespürt hatten, war der Puls von 15 Milionen Menschen, die hier durch die Strassen strömten, was wir vermissten, war Natur, Grün und auch die Sonne ließ sich seit unserer Ankunft nicht blicken. Die ganze Festivalwoche blieb es regnerisch bei durchschnittlich 17 Grad. Wärmer als in Deutschland, aber sicher nicht das Wetter, das wir uns von Brasilien erhofft hatten.

 

10-12.11.2010

Unsere Shows wurden von Mal zu Mal besser. An den weiteren Tagen spielten wir in den Stationen “Ana Rosa”(gespr.:”Anna Hòsa”) und “Anhangabau”(gespr.: “Anjakabau”). Das Grosse Finale fand sprichwörtlich im “Paraiso” statt.

Der Spirit dieses letzten Konzertes war etwas ganz Besonderes, wir Musiker saßen dicht gedrängt am Bühnenrand, die Zuschauer drückten sich neugierig um den gesamten Bühnenbereich, hinter uns fuhren U-Bahnen ein und aus.

Fernsehteams filmten, die Leute klatschten, tanzten, sangen begeistert mit. Die Bands, die aus der gesamten Welt zusammengekommen waren, um ihre Strassenkunst auf diesem Festival zu präsentieren, hatten jeweils 5 Minuten.

Pyro und ich, wieder in den Erfolgsfarben Gelb und Grün angemalt, zelebrierten ein letztes Mal unsere neue Show, die Leute lachten, gingen mit, applaudierten – unser Konzept war aufgegangen.

Als einzige Musikband, die eher eine fast reine Theatershow abzog, stachen wir vollkommen aus der Vielfalt der Musikstile heraus und sprengten im positiven Sinne den Rahmen dieses Metro-Festivals.

Aber das war unwichtig, denn dabei zu sein war eigentlich alles. Ein Teil dieses brodelnden Pulks von Überlebenskünstlern, Individualisten und Metromusikern zu sein war eine riesige Inspiration und Motivation, auch weiterhin auf Strassen und in U-Bahnschächten Musik zu machen und neben dem obligatorischen Kleingeld auch ein paar Passanten glücklich zu machen.

Kleine Pannen gab es bei uns viele: Saiten rissen, Hosen rissen im Schritt, ich vergaß das Umhängeband der Gitarre, mußte improvisieren. Immer wieder färbte die verdammte Theaterschminke nicht nur unsere Haut sondern auch alles andere. Wir hinterliessen ein Hotelbadezimmer, das mit vielen bunten Flecken gesprenkelt war, der Boden der Dusche leuchtete Gelb, Rot, Grün. Am 11.11.2010  lief mir schwarze Schminke in beide Augen, die sich entzündeten und anschwollen, so daß  ich fast 24 Stunden lang nichts mehr sehen konnte außer einem völlig geblurrtem Bild, ich dachte kurzzeitig, “Scheisse, ich werde blind!!!” und alle anderen dachten wohl, ich würde einen “Sentimentalen schieben”, weil mir ständig Tränen übers Gesicht liefen und ich auch nachts noch Sonnenbrille tragen mußte. Doch auch diese Pein ging, Gott sei Dank, vorüber..

Die beiden Tage nach dem Festival nutzten wir für einen Ausflug in den Zoo und einen Tagestrip an einen See zum Angeln mitten im Regenwald. Wir genossen es, endlich in der Natur zu sein und anstatt der hektischen Innenstadt von Sao Paulo ein ganz normales Brasilien kennenzulernen, mit spielenden Kindern, liebevollen Vätern und Powerfrauen, die neben der Kindererziehung auch arbeiten und abends noch feiern gehen

Die spürbare Tendenz: Brasilien entwickelt sich weg vom Klischée “ Armes 3.Welt-Land, Favelas und Fußball” hin zur stärksten Industrienation Südamerikas. Brasilien ist im Kommen und das spürt man vor Ort sofort, wenn man die ewig positiv denkenden Brasilianer kennenlernt und sie schon um 5 Uhr morgens auf dem langen Weg zur Arbeit sieht, wenn man sieht, wie der Wohlstand wächst und sich bis in die Favelas ausbreitet (wo sich manche sogar Pferde halten) und wenn man hört, wie selbstbewusst die Brasilianer von ihrem Land sprechen -nicht nur von Samba, Fußball und der 'Belleza' der Frauen.

Einzig unschöner Moment unserer Reise war die Verhaftung eines völlig betrunkenen Musikers aus Irland, der sich in seinem Rausch mit einer Prostituierten, einem Taxifahrer und schließlich mit der gesamten Polizei anlegen wollte. Der souveräne Veranstalter, der auf seinem Gebiet ein absoluter Profi war, mußte ihn zähneknirschend auf Kaution frei kaufen.

Mit drei Kilo Kaffeebohnen beladen reisten wir schließlich am Sonntag, den 14.11.2010 zurück, immer der Sonne entgegen.

Tränen in den Augen der sonst so scherzhaft aufgelegten BrasilianerInnen gaben uns einen weiteren Einblick in die Seele dieses Volkes, einer der multikulturellsten Mischgesellschaften dieser Erde.

 

Danke an alle Verantwortlichen und Helfer für Eure Gastfreundschaft und Profesionalität! Ihr ward super! “Optimo! Belleza!! Tchau Tchau, Brasil!!!”

mellow mark alias mark schlumberger

potsdam im november 2010

 

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