Irgendwann wacht man dann auch mal auf und realisiert, dass die vor 45 Minuten gehörten „Camping Interdit“ Rufe an eben diesem Morgen einmal nicht von einem Toupet-tragenden Opa mit Hund stammten, sondern von Kampfstiefel tragenden Polizisten, die einem, verärgert über das Ignorieren ihres zuvor geäußerten Befehles, das Zelt abzubauen, praktisch und unkompliziert dabei helfen, indem sie alle Heringe und Stangen in 10 Sekunden entfernen und so die Zeltplane über einem zusammenfallen lassen. Schöner Beginn eines neuen Tages...

Im weiteren Verlauf der Reise besucht man seltsame Halbinseln mit seltsamen, österreichischen Hotelpraktikantinnen, schläft gegenüber von einem Atomkraftwerk, klaut –völlig problemlos- Weintrauben vom teuersten Weingut der Welt und fährt, nach einem kurzen -und von einem unglaublich guten Tracy Chapman-Imitator geprägten- Besuch von Bordeaux, die Küste südlich runter nach Spanien.

 

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Obwohl man dort eigentlich nicht Spanien sagen darf. Und auch nicht Spanisch reden darf. Man ist nämlich im Euskadi. Im Baskenland. Und das Baskenland will schließlich unabhängig sein. Von den blöden Spaniern, die hier die Sozialleistungen bezahlen. Und die Straßen bauen. Und die Region zu integrieren versuchen. Diese blöden Spanier. Aus diesem Grund werden alle Straßenschilder, die nicht auf baskisch sind, übermalt oder „verbessert“, werden die Straßen und Wände vollgeschmiert mit „Gebt den Freiheitskampf nicht auf“-Parolen und antworten einem die Polizisten, die man auf Spanisch (in Spanien!) nach dem Weg fragt, stur und ignorant auf ihrer eigenen, von niemandem außer einem Basken verständlichen Sprache. Nettes Völkchen, diese Basken....

Nach San Sebastian und Bilbao fährt man weiter westlich, genießt das grüne und wilde, nördliche Spanien, ist enttäuscht von La Coruña, ärgert sich über Supermärkte in Santiago di Campostella aka Santiago auf dem Komposthaufen, freut sich über die Monolithen-Wüste am Cabo Udra und die hübschen Spanierinnen und fährt dann, immer weiter südlich, ins westlichste Land Europas, das unbekannte und immer noch viel zu selten bereiste Portugal.

Das erste, aber dafür bis auf weiteres auch einzige Manko dieses Landes wird direkt klar: verdammt teure Autobahn-Gebühren. Obwohl diese mit Sicherheit aus einem der vielen EU-Fonds bezahlt wurden, die das Land –damals das Armenhaus Europas- in den 80ern und 90ern ziemlich gepusht haben.

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Am sympathischsten und zugleich kleinsten Supermarkt, den ich bisher gesehen habe, kauft man dort billig köstliche Shrimps, saftige Nektarinen und jede Menge anderes leckeres Zeug ein, um es dann abends neben den, auf einer zwischen Auto und Zaun gespannten Leine hängenden und mit von netten Holländern gestifteten Wäscheklammern befestigten, T-Shirts, Hosen und Socken zu genießen. Gleichzeitig bestaunt man den schönsten Sonnenuntergang der Reise, sieht nach 2 Wochen zum ersten Mal den Mond, schreibt das erste und einzige Mal Postkarten an Familie und Freunde und kommt –dank langer Nacht- am nächsten Morgen versehentlich eine Stunde zu spät zum gebuchten Tennisplatz, um dann freudig festzustellen, dass in Portugal eine Stunde Zeitunterschied ist und man genau pünktlich angekommen ist.

Man besucht die malerischen Städte Porto und Coimbra, ist überrascht von der auffallenden Präsenz kommunistischer Parteiposter und –Slogans, zeltet am –wirklich wunderschönen- westlichsten Punkt Europas (Cabo Roca) mit grandioser Aussicht und staunt über die seltsamen Angewohnheiten von Campingplatz-Campern, die „ihren“ Zeltvorplatz mit dem Rechen säubern, eine Fußboden-Imitats-Plane inklusive Fußmatte ausbreiten, das Vorzelt ihres WohnMOBILs mit Sesseln, Couchs und Fernseher bestücken und 20-35€ pro Nacht bezahlen, um mit schlechter bzw. keiner Aussicht, dicht an dicht gedrängt und von Campingplatzwärtern überwacht auf einem 5m*5m großen Stück plattgedrückter Wiese zu zelten.

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Dann kommt man in die Hauptstadt Lissabon, bekommt auf bis heute ungeklärte Weise ein Doppelzimmer in einem 176€-Hotel für 70€  „geschenkt“, bekommt am „Praca do Commercio“ völlig offen und wie selbstverständlich Hasch und Weed von seltsamen, in schwarzen Mänteln gekleideten Pakistanis angeboten, beobachtet dann einige Stunden später, wie die selben Männer, der Besitzerin des Lokals, in dem man gerade sitzt und isst, Geld oder Dope überreichen um dann mit irgendnem Boss in einem dicken Mercedes zu verschwinden.

Also wenn die portugiesische Polizei mal nen Coup landen will: nehmt euch das Restaurant direkt rechts vor dem großen, die beiden Teile der Stadt miteinander verbindenden, Aufzug vor, Jungs.

Wenn man abends in der größten Stadt Portugals weggehen will, sollte man folgendes machen: 1.pro Person zwei starke Caipirinhas mixen und trinken 2. den Hotelpagen nach den besten Clubs der Stadt fragen und als Antwort den Stadtplan völlig vollgekritzelt bekommen 3. dorthin fahren, geschockt feststellen, dass es bloß ein paar seltsame, kleine und vor allem leere Bars sind, dann endlich den einen, großen Club finden und dort am Eingang abgewiesen zu werden, weil dem Türsteher die Schuhe nicht gefallen. 4. zum darauf-Klarkommen einen Spliff rauchen und kopfschüttelnd der mageren Lissabonner Nachtszene den Rücken kehren und dann 5.irgendwann nach einer kleinen City-Safaris bei Sonnenaufgang ins Hotel zurück zu kommen um in einen tiefen, koma-ähnlichen Schlaf zu fallen.

Dann ab zur Algarve, dem portugiesischen Urlaubsgebiet Nummer 1, dort einmal an bezaubernden Steilklippen zelten, ein anderes Mal schlechte, billige, von besoffenen, englischen Teenies bevölkerte Partyorte aufsuchen und wegen nem Joint aus dem Club geworfen werden, dann wieder Sonnenbaden an wunderschönen, einsamen Stränden und über die Grenze zurück nach Espana.

Im brennend heissen Sevilla besucht man –als Student sogar kostenlos- den umwerfenden, arabischen Herrscher-Palast und irrt durch das dazugehörige, zauberhafte Gartenlabyrinth, filmt die berühmt-berüchtigten Blumenfrauen beim „Touristen-Abziehen“, ärgert sich über die Verkehrsführung und entscheidet sich, während man im McDonalds 25Minuten an der Theke warten muss, ganz spontan doch nicht wie geplant nach Madrid zu fahren, sondern lieber ein paar Freundinnen in Valencia zu besuchen.

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Dort parkt man sein Auto 1 Minute vom Haus der besagten Freundinnen weg, nimmt zum Glück noch alle wichtigen Wertsachen mit in die Wohnung und stellt dann am nächsten Morgen fest, dass die Warnungen, in südlichen Ländern (Städten) keine vollgepackten Autos auf der Straße zu parken, nicht ganz unberechtigt sind. Zum Glück finden sich die meisten zuerst als geklaut geglaubten Klamotten später in einem der in der Nähe stehenden Altpapiercontainer, aber trotzdem fehlen ab dieser Nacht zwei elektrische Rasierer, mehrere T-Shirts, ein Teil der Reiseapotheke, meine Smoking-Blättchen und –man will es nicht glauben- eine Packung Q-Tipps. Wofür auch immer diese Idioten sie gebraucht haben...

Das Problem war nun weniger, dass uns eben genannte Dinge fehlten, als dass eine hintere Seitenscheibe unseres werten Fahruntersatzes nun einfach nicht mehr existierte, sondern, in tausend Kleinteile zerborsten, auf der Straße lag. Da es anscheinend ein großen Problem ist, in Spanien, Frankreich oder Italien eine getönte Scheibe zu bekommen, fährt man den Rest der Reise am besten einfach unproblematisch mit einem Stück Plexiglas, was wunderbar gegen Eindringlinge aller Art schützt, da es ja professionell mit mehreren Stücken Klebeband befestigt ist. Besonders zu empfehlen für spanische Großstädte.

Zu guter letzt wurden uns in dieser Diebesstadt dann auch noch morgens um halb sieben, zu viert am Strand dösend, die Schuhe geklaut. Und zwar 2 Jahre alte Nike’s vom Karstadt...
Wie auch immer, verlässt man die Stadt nach 4 Tagen dank der Mädels mit einem fröhlichen Feeling, kommt an der spanisch-französischen Grenze ins krasseste Unwetter seines Lebens, mit umher rasenden Mülltonnen, Walnuss-großen Hagelkörnern und Tankstellenüberflutenden Regenfällen.

Die Mittelmeerküste Frankreichs kann man sich dank extremer Überfüllung und unzähligen Mücken getrost sparen und zügig weiter östlich fahren. Zwischendurch noch auf den einzigen, zumindest einigermaßen legalen 20m² des beliebten Küstenortes Cassis, zwischen Straße, Weinhang, Ortseingangsschild zur linken und Parkverbotsschild zur rechten, campen und bei einem Abstecher nach Monaco mit ca 6km/h durch den Grand-Prix Tunnel kriechen, um dann bei starkem Regen nach Italien zu gelangen und auf dem völlig aufweichten Campingplatzboden sein Zelt aufzubauen.

Nach ein paar Tagen an der italienischen Mittelmeerküste kehre man dieser den Rücken zu und bewege sich nördlich Richtung Lago Maggiore. Dort empfiehlt es sich auf der linken Seite des Sees bei Km 23,5 den einzig möglichen Platz zum Campen zu nutzen und, geschützt durch eine Leitplanke, auf einer saftigen Wiese, direkt am See, mit eigenem kleinen Strand und perfekter Aussicht zu nächtigen. Am nächsten Tag fährt man dann aber doch lieber zum Haus einer guten Bekannten am naheliegenden Lago die Orta und genießt das Dolce Vita mit leckerem Wein, bester (Anti)-Pasti, eigenem Motorboot und Terrasse über dem Wasser.

Welch ein Abschluss dieses Tour-Menus. Bis auf den etwas faden Nachgeschmack der 10-stündigen Rückfahrt in die geliebte Heimatstadt und dem 60km/h-Abschnitt der Schweizer Autobahn mit eingebauten -und natürlich direkt mal mitgenommenen- Blitzer, waren diese letzten Tage dann noch mal Entspannung pur, ohne Zelt auf- Zelt abbauen und dafür mit einem vernünftigen Bett zum Reinfallen.

Diese guten Bekannten mit Häusern in Norditalien sind jedoch rar, weswegen der Nachtisch dieses Menus für den Großteil der Nachkocher evl. etwas anders ausfallen könnte.
Das Gericht als Ganzes, die komplette Tour, die 1000 (Geschmacks-)Erlebnisse, das Feeling, die unterschiedlichen Farben, Gesichter, Namen, Sitten, Macken, Preise, Bekanntschaften und Eindrücke, die man bei so einem 6-Wochen/Gänge-Diner bekommt, die dürften trotzdem einzigartig sein und jeden Menschen individuell begeistern.
Bei so einer Reise ist für jeden etwas dabei, da gibt’s kein „Das mag ich nicht“ und jeder Teller wird garantiert komplett leer gegessen. Genau das ist es, was ich an diesem Trip so empfehlenswert finde, am besten ganz ohne Rezept einfach drauf los kochen/fahren, nicht lange überlegen, einfach nach Gefühl, man merkt schon was „al dente“ ist, und was nicht.
Und wenn man doch mal matschige Nudeln/Zeltplätze erwischen sollte, dann gibt’s am nächsten Tag halt wieder Drei-Sterne-Küche/-Ausblick.

Europa-Reise à la Carte ist passé, à la Frei Schnauze dagegen der letzte Schrei.
Paul Bocuse ist bestimmt schon neidisch.
Fahrt doch einfach mal hin und fragt ihn. Europa wartet nur auf euch.    

(LSch)

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